„Willkommen im Erwachsensein“, heißt es in der Musical-Fortsetzung „Ku’damm 59 – Das Musical“, das gestern (05.05.24) seine grandiose Weltpremiere im Theater des Westens in Berlin feierte. Die teilweise noch sehr jungen Charaktere müssen im Jahr 1959 ihren Platz in der Welt finden, in der vieles nicht richtig läuft. Schonungslos ehrlich werden dabei ohne jegliche Weichzeichner auch Gewalt und die Folgen des zweiten Weltkrieges aufgezeigt… das sehr rasante Stück bietet dazu etliche unerwartete Wendungen… eine Achterbahnfahrt der Emotionen mit einer grandiosen Cast und Liedern, die so nur Peter Plate und Ulf Leo Sommer schreiben können!
Mathias Reiser meistert schwierige Rolle mit Bravour
Drei Jahre liegen in der Handlung seit dem ersten Teil zurück, in dem sich vieles getan hat. So erfahren die Zuschauer schon früh, was mit Monikas und Freddys gemeinsamen Kind passiert ist. Die Enthüllung ist recht überraschend und macht gleich zu Beginn deutlich, dass in dem Stück keine heile Welt zu erwarten ist. Monika und Freddy leben immerhin gemeinsam, müssen anstatt von „Rock’n Roll“-Wettbewerben mittlerweile jedoch Musik in Heimatfilmen singen. Hinzu holt Freddy seine tragische Vergangenheit ein. Der Freigeist will den Pflichten entfliehen, lebt ein Stück weit in seiner eigenen Welt. Das wird gerade in den Momenten deutlich, wo er Rückschläge erleben muss (wir spoilern natürlich nicht, welche!)…. die Sorgen im Alkohol ertränkt, ruft er so in einer Szene Monika zu: „Lass uns tanzen!“ Schon im ersten Teil wird offenbart, dass er seine Familie im Holocaust verlor… das will er jedoch verdrängen. Die sehr schwierige Rolle spielt Mathias Reiser unfassbar gut… man fühlt und leidet mit ihm mit. Er hat die Aufgabe, die tragischste Figur in dem Stück zu spielen. Grandios ist dabei auch die von ihm gesungene Ballade „Requiem“… das geht unter die Haut!
Celina dos Santos ist eine weitere geniale Neuentdeckung
Ganz neu besetzt ist auch die Rolle der Monika, die nun von Celina Dos Santos gespielt wird. Schon bei der Pressekonferenz verriet Regisseur Christoph Drewitz, dass er mit ihr schon in Linz arbeitete und sie überzeugte, sich für die Rolle zu bewerben. Dabei versprach er, dass sie „einen Charme, eine Wucht und eine große Stimme“ habe… Doch das war noch weit untertrieben… mit einer unglaublichen Energie verleiht sie der Figur auf der Bühne Leben, liefert schauspielerisch aber vor allem auch gesanglich ab. Ihre leicht rauchige, starke Stimme entfesselt sich im Song „Marie läuft Amok!“ komplett… was hat man denn da bitte wieder aus dem Hut gezaubert?!
Isabel Waltsgott bricht völlig aus dem Korsett aus
Ihre Schwestern Eva und Helga werden hingegen erneut von Isabel Waltsgott und Pamina Lenn gespielt, die beide ebenfalls ihre Momente erhalten, um so richtig zu glänzen. Eine ganz große Überraschung ist für uns dabei die Entwicklung von Eva… sie bricht aus dem Korsett des Bildes der Frau von damals komplett aus, ist die Skandalnudel des Stücks! Nach einer Schlüsselszene, in der auch Cusch Jung als ihr Mann Prof. Dr. Jürgen Fassbender stark aufspielen darf, reicht es Eva… es ist unglaublich, mit wie viel Leidenschaft und mit was für einer Power Isabel die Figur spielt. Wir möchten nicht zu viel verraten, aber gerade bei ihrem Charakter beweisen die Verantwortlichen viel Mut… zum Ende des Stücks wird es dann ganz besonders intensiv!
Philipp Nowicki mit Gänsehaut-Performance
Helga, die älteste der Schöllack-Schwestern ist ebenfalls mit ihrem Leben unzufrieden… wie im ersten Teil bekannt wird, ist ihr Mann Wolfgang schwul… und hat auch noch eine Affäre mit einem Mann namens Hans… der im Osten lebt! Das Thema Ost-West-Liebe ist ein gern aufgegriffenes Thema in deutschen Filmen… dennoch schafft man es, dies hier frisch zu erzählen. Grandios ist im Stück hier die Solo-Performance von Philipp Nowicki mit der Gänsehaut-Ballade „Zwischen Ost und West“. Was aus der Romanze, die zu der Zeit ein absolutes Tabu war wird, dürfte die Zuschauer überraschen… so viel sei verraten: Es ist ein Musterbeispiel, wie schonungslos ehrlich „Ku’damm 59 – Das Musical“ ist.
Heimafilmemusik sorgt für unbeschwere Momente
Immer wieder schafft man es, dass es einem das Blut in den Adern gefriert. Gewalt wird offen gezeigt, harte Sprüche fallen zuhauf. Sei es beim Thema Führerschein für Frauen oder Toleranz. Doch wir möchten hier nicht sagen, dass das Stück nur harte Kost ist, es ist unglaublich unterhaltsam, oft auch rasant und es gibt auch Feelgood-Vibes… daran hat vor allem der Handlungsfaden um die Heimatfilme, bei denen Freddy, Monika und ihre Mutter Caterina Schöllack (Katja Uhling) mitwirken. Es ist kein Witz, neben den erneut grandiosen Balladen und Popsongs haben Peter Plate und Ulf Leo Sommer erstmals Volksmusik geschrieben! Herrlich spielt man dabei auf die alten deutschen Filmklassiker an, in der die heile Welt regiert… Songs wie „Hotel am Wolfgangsee“ machen mächtig Spaß, grandios ist vorallem Katja Uhligs Perfomance vom Song „Belinda Hochreiter“, eine geniale, schwungvolle Nummer, in der die Darstellerin eine Sternstunde abliefert!
Steffi Irmen und Katja Uhlig sind das Duo Infernale
Die großartige Künstlerin hat dabei noch einen weiteren ganz großen Moment: Das Duett mit Steffi Irmen, die die Regisseurin Christa Moser spielt. Steffi, DIE Entdeckung von Peter Plate und Ulf Leo Sommer, die schon in „Romeo & Julia – Liebe ist alles“ und im Spin-Off „Die Amme“ ganz, ganz großes Kino bot, wurde in „Ku’damm 59“ reingeschrieben und harmoniert mit Katja Uhlig hervorragend. Das Duett „Speer und Riefenstahl“ ist das Aufeinandertreffen zweier starken Stimme, die einem den Kloß im Hals stecken lässt. Beide Charaktere trauern der „guten alten Zeit“, als Adolf Hitler noch an der Macht war, hinterher. Mit diesem Song mahnen die Verantwortlichen sehr stark an, dass sich Geschichte nicht wiederholen darf, das unterstreicht die Zeile „Wenn alle anderen schlafen, fangen wir erst an“… viel Wahres in nur einer Zeile, wenn man die aktuelle politische Lage betrachtet… Für ihre gemeinsame Performance gab es jedenfalls einen riesigen Applaus… und das zurecht! Sehr stark war auch die starke Botschaft für Toleranz in einer weiteren gemeinsamen Szene von Katja Uhlig und Steffi Irmen. Hier sagt Steffi zur Liebe unter gleichem Geschlecht: „Wenn du Liebe pervers findest, dann tust du mir Leid!“
Steffi Irmen ist eine Bank!
Steffi Irmen hat dabei noch einen weiteren Song: „Showbetrieb“… eine ebenfalls imposante Nummer, die ganz groß in Szene gesetzt ist. Allgemein ist es erneut ein Genuss, Steffi Irmen auf der Bühne zu erleben. Mit unnachahmlichen Mimiken, genialem Schauspiel und auch Gesang liefert sie wiedereinmal ab… wenn sie als Christa Moser wutentbrannt und cholerisch über die Bühne rennt… ist das Unterhaltung at it’s best!
Pamina Lenn ebenfalls mit grandioser Leistung
Sehr unterhaltsam war auch Pamina Lenns Sternstunde mit dem Song „1! 2! 3!“, in dem sie schauspielerisch und gesanglich ihr ganzes Können zeigt. In der Schlüsselszene zeigt sie dabei sogar operettenhaften Gesang. Keine Frage, das war ihre persönliche Mozarts 9. Symphonie!
David Nàdvornik glänzt mit Schauspiel und unter die Haut gehender Ballade
Vergessen wollen wir natürlich auch David Nàdvornik, der den Fabrikantensohn Joachim Franck spielt, nicht. Er hat nach Freddy die Figur mit der meisten Tragik. Mittlerweile ist sein Vater verstorben, er will seine Reise als besserer Mensch fortsetzen. Dabei ist es ein Fehler aus der Vergangenheit, der sich wiederholte und den er nun ausbügeln will. Gerade dass dies erneut passiert (wir spoilern hier bewusst nicht!), lässt so manchen Zuschauer später glauben, dass er es ist, der die schreckliche Tat an Eva begangen hat… Schauspielerisch liefert der Darsteller wie gewohnt ab, auch seine gefühlvolle, sanfte Stimme darf in der Ballade „Herr K“ glänzen… dieser Titel malt ein unglaublich intensives Bild von einer Person, die während des zweiten Weltkrieges im Koma lag. Hier haben Peter Plate und Ulf Leo Sommer einen der textlich stärksten Songs ihres bisherigen Schaffens kreeirt!
Auch das Ensemble spielt stark auf
Neben all den großartigen Hauptdarstellern ist auch das Ensemble erstklassig. Hier möchten wir unbedingt Silvio Römer erwähnen, der beim Song „Geh ran!“ die Bühne weitestgehend für sich erhält und ordentlich abliefern darf! Auch die Choreographien, für die sich erneut Jonathan Hour verantwortlich zeichnet, sind in „Ku’damm 59 – Das Musical“ auf höchstem Niveau… gerade in den Szenen, in denen für den fiktiven Heimatfilm gedreht wird, darf sich das Ensemble mächtig austoben!
Last but not least gefiel uns auch das Bühnenbild sehr gut, dieses zeigte sich sehr vielseitig und wandelbar. Keine Frage, „Ku’damm 59 – Das Musical“ ist ein rundum geniales Werk mit viel Liebe zum Details, dass es schafft, mit grandiosen Songs (deren Musik von einer Liveband gespielt wird!) und einer Geschichte, die erfrischend ehrlich ist, zu begeistern! Hier gibt es eine wirklich authentische Zeitreise in das Jahr 1959… mit allen Facetten! Dabei ist das Ende für viele vielleicht überraschend und gibt nicht jeder Figur ein Happy End…